Nach seiner Festnahme gleich zu Beginn des Krieges vergingen einige Monate, ehe Kaplan Poether in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt wurde. Sachsenhausen in der Nähe von Berlin war zu Kriegsbeginn mit 12 000 Häftlingen das größte Konzentrationslager im damaligen Reich. Kaplan Poether kam in Einzelhaft in den berüchtigten Zellenbau, in dem es 80 Einzelzellen gab.
Der Leidensweg Kaplan Poethers in Sachsenhausen liegt weitgehend im Dunkeln. Der Grund liegt auf der Hand: Die Quellenlage ist dürftig.
Auf Einladung des Arbeitskreises Bernhard Poether der Pfarrei St. Clemens sprach am Donnerstagabend Michael Grottendieck über das Konzentrationslager Sachsenhausen. Dabei stellte er Briefe vor, die der junge Geistliche alle 14 Tage schreiben durfte. Der Briefverkehr war für mehr als ein Jahr die einzige Möglichkeit, mit der Familie in Hiltrup in Kontakt zu treten. Entsprechend kostbar waren für beide Seiten die Briefe.
Auf den ersten Blick scheinen die Texte recht schlicht und belanglos. Aus Furcht vor der Zensur habe Poether es bei ganz allgemein gehaltenen Aussagen belassen, heißt es oft. „Draußen scheint die warme Julisonne und im Herzen ein frohes Heimatgedenken.“ Das mag banal klingen. Zu den Namenstagen in der Familie gratulierte er regelmäßig und erkundigte sich zudem, wie die Blumen in Vaters Garten wachsen.
Doch dabei darf man nicht stehen bleiben. Gefordert ist eine andere Sichtweise. Wer die Briefe aus den Konzentrationslagern verstehen will, muss wissen, in welchem Kontext sie entstanden sind. Das Geschriebene muss in die unmenschliche Wirklichkeit dieser Orte hineinstellt werden. Dazu ist ein Blick hinter dunkle Kulissen notwendig – so schwer das im Einzelfall zu ertragen sein mag. Dem Leser wird die Kunst abverlangt, zwischen den Zeilen zu lesen. Nur so lassen sich die Briefe dechiffrieren. Wer lediglich an der Oberfläche kratzt, für den bleiben „die Schreiben Poethers nichtssagend und die der Eltern belanglos“, wie es in einem Buchtext heißt.
Bei der Durchsicht der Briefe wird schnell erkennbar, wie sehr Kaplan Poether höchst interessiert war an allem, was sich in Hiltrup bei seiner Familie sowie bei seinen Freunden tat. Er freute sich aus der Ferne mit, wenn es Hochzeiten oder Geburten zu feiern gab. Er litt mit, wenn Freunde an der Front starben.
Erkennbar wird, mit welcher inneren Haltung Bernhard Poether mit seiner eigenen Situation umging. Er war – „trotz allem“, wie er schrieb – bereit, seinen Weg zu gehen für seine christliche Grundüberzeugung. Was er bei seiner Priesterweihe versprochen hatte, waren keine leeren Worte. Auch in den dunkelsten Stunden ließ er sich leiten von der „Freude der Kinder Gottes, die die Furcht besiegt und nur die selige Liebe herrschen und gelten lässt“. So steht es 1940 in seinem Weihnachtsgruß.
Für Hiltrup-Fans sind die Briefe ebenfalls eine Fundgrube: Mit fortschreitender Haftdauer wird bei Bernhard Poether die Sehnsucht nach der Heimat ständig größer. Der heimische Garten am Klosterwald wird zu einem Sehnsuchtsort: „Hoffentlich kommt bald die Zeit, wo wir uns gemeinsam daran erfreuen können“, schreibt er im Frühjahr 1941. Wenig später heißt es: „Wie schön muss es jetzt daheim in Hiltrup sein.“
WN, 28.09.2019; Autor: